Depressionen vorbeugen: Psychotherapeutin erklärt, wie Positive Psychologie bei der Prävention helfen kann

Psychische Erkrankungen sind längst in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Umso wichtiger sind wirksame Präventionsmaßnahmen. Viele Experten setzen dafür auf Positive Psychologie. Eine von ihnen ist die Psychotherapeutin Andrea Horn. Sie verrät im Interview, was Positive Psychologie wirklich leisten kann – und was ein Mixtape mit Glück zu tun hat.

Wir leben in aufrüttelnden Zeiten. Viele Menschen fragen sich, wie sie mit den Krisen dieser Tage umgehen können, ohne ihre mentale Gesundheit zu gefährden. Sie unterstützen unter spiegelneuronen.info gemeinsam mit Ihrer Kollegin Saskia Rudolph Menschen mit Positiver Psychologie. Worum geht es dabei?

In der Positiven Psychologie geht es im Wesentlichen darum, dass wir alle gefragt sind, auf uns selbst aufzupassen und uns zu stärken, statt uns immer nur zu fragen, was ich tun kann, wenn es mir schlecht geht. Es geht also nicht darum, psychische Erkrankungen zu heilen. Im Fokus steht vielmehr, wie man sein Leben selbstbestimmt und zufrieden gestalten kann.

Also ist Positive Psychologie ein Thema, mit dem sich nur gesunde Menschen befassen sollten?

Meine Grundhaltung ist: Positive Psychologie ist für jeden gut. Es gibt sogar einige Erkrankungen, die man mit Hilfe von psychischen Interventionen positiv beeinflussen kann. Dazu zählen vor allem Autoimmunerkrankungen und alle stressbedingten chronischen Krankheiten. Aber auch Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen können von einem bewussten Umgang mit sich selbst positiv beeinträchtigt werden.

Positive Psychologie kann also körperliche Erkrankungen positiv beeinflussen. Aber wie sieht das aus, wenn ich an psychischen Problemen leide?

Ich glaube, in dem Fall muss man aufpassen, dass man sich nicht selbst unter Druck setzt. Das passiert zum Beispiel, wenn man denkt: Um glücklich zu sein muss ich mich nur mehr anstrengen. Das ist eine sehr falsche Botschaft, die aber leider immer wieder transportiert wird. Es ist auf jeden Fall sinnvoll, sich mit seiner psychischen Erkrankung auseinanderzusetzen. Wenn ich aber in einer Depression festhänge, brauche ich mich erstmal nicht mit den Zielen für die nächsten zehn Jahre auseinandersetzen. In dem Fall geht es eher um kleine Schritte der Besserung.

Das Mixtape unseres Lebens

Mal abgesehen von psychischen Erkrankungen und Krisen: Was brauchen wir denn, um glücklich zu leben?

Um das zu verdeutlichen, nutze ich sehr gerneeine Metapher: Stellen Sie sich das Leben einmal als Kassettenrekorder vor. Jeder von uns bekommt am Anfang seines Lebens ein eigenes Mixtape geschenkt. Auf der A-Seite sind Dinge drauf, die wir nicht beeinflussen können. Das sind beispielsweise unsere Gene, die Sozialisation und unser Elternhaus. Das sind 50 Prozent, an denen wir nichts ändern können – die uns aber trotzdem prägen.

Und was, wenn uns diese Kassette nicht gefällt?

Wegwerfen wäre schade, denn wir haben nur diese eine. Wir können die Kassette aber umdrehen.Auch auf der B-Seite gibt es zwar ein paar Dinge, die schon voreingestellt sind: Schicksalsschläge sowie schöne und schlechte Erlebnisse, die uns passieren. Aber: Es sind auch ein paar Lieder frei, die wir selbst einspielen können, ungefähr 40 Prozent.

Und wie genau bespielen wir die Kassette unseres Lebens?

Damit wir unsere Playlist einspielen können, brauchen wir einen Rekorder mit verschiedenen Tasten. Da gibt es die “Play“-Taste. Sie steht für all das, was uns inspiriert, antreibt und motiviert. Die “Pause“-Taste steht für das, was uns Erholung und Regeneration verspricht – also die ruhigen Momente des Lebens, die wir gerne mal übersehen. Dabei sind auch diese enorm wichtig. Es gibt außerdem die “Rückspul“-Taste, mit der wir schauen können, was uns im Laufe unseres Lebens geprägt hat und wofür man dankbar bzw. worauf man stolz ist. Dann gibt es die “Aufnahme“-Taste, mit der wir alle Menschen, Momente und Gefühle, die uns wichtig sind, konservieren können. Und es gibt die “Vorspul“-Taste. Hier geht es um unsere Ziele, Träume und Werte im Leben. Vielleicht ahnen Sie es schon: Für ein glückliches Leben brauchen wir alle Tasten.

Ein schönes Bild für die vielfältigen Einflussbereiche auf unser Wohlbefinden. Aber was können wir in der Praxis damit anfangen?

Mit dem Bild kann man sich im Alltag immer wieder fragen, auf welcher Taste man gerade festhängt. Bin ich zum Beispiel gerade auf Vorspulen und lebe ausschließlich in der Zukunft oder gucke ich auch mal auf das Hier und Jetzt und nehme die Dinge selbst in die Hand? Oder wäre es mal wieder an der Zeit für die Pause-Taste? 

Warum Selbstreflexion sich lohnt

Es geht also wie so oft um Selbstreflexion

Genau.Selbstreflexion ist das A und O. Wir müssen lernen, auf uns selbst zu schauen und uns zu hinterfragen. Wir sollten herausfinden, was unsere Stärken sind und was wir wirklich vom Leben wollen. Der erste Schritt ist hier: sich erstmal die Zeit einräumen. Es reichen schon zehn Minuten in der Woche, in denen man sich mit gezielten Fragen auseinandersetzt. Das Problem beim Lesen von Ratgebern ist oft, dass man die Fragen nur überfliegt. Es gilt also, sich die ausgewählten Fragen wirklich zu Herzen zu nehmen und sich seine Antwort im besten Fall schriftlich zu notieren.

Nun gehört eine ehrliche Selbstreflexion fast zur Königsdisziplin der persönlichen Weiterentwicklung. Wie kann ich damit anfangen?

Bücher und Filme können bei der Selbstreflexion helfen. Indem wir einen Einblick in andere Gedankenwelten erhalten, hinterfragen wir uns automatisch dahingehend. So bemerken wir oft Parallelen oder Unterschiede zu Themen, über die wir so vielleicht gar nicht nachgedacht hätten. Das Gleiche passiert auch im direkten Austausch mit anderen Menschen.

Also brauche ich zwingend eine gesunde Selbstreflexion, um glücklich zu sein?

Nicht unbedingt.Es gibt viele Menschen, die wenig selbst reflektieren und trotzdem sehr gut durchs Leben kommen. Wer auf der A-Seite einfach sehr viel mitbekommen hat an Ressourcen und einer positiven Grundeinstellung, der hat natürlich ein deutlich geringeres Risiko für eine psychische Erkrankung. Aber auch da gibt es die Möglichkeit, dass sich das durch einen Schicksalsschlag ändert. Ich glaube, dass es auf jeden Fall hilft, Selbstreflexion zu betreiben. Denn dann merkt man schneller, wenn etwas nicht stimmt und kann früher einschreiten.

Der Unterschied zwischen Positiver Psychologie und Optimismus

Was hilft abgesehen von Selbstreflexion, sich aktiv um seine mentale Gesundheit zu kümmern?

Gerade in der aktuellen Zeit mit dem Krieg, der Klimakrise und Corona ist es enorm wichtig, zu gucken, was man selbst denn wirklich beeinflussen kann. Die meisten Krisen können wir nicht wirklich kontrollieren, aber unser eigenes Leben ein Stück weit schon. Das nennt man Selbstwirksamkeit – und es ist wahrer Balsam für unsere Seele. Das Gegenteil wäre der Kontrollverlust. Und das ist es, was auf Dauer krank machen kann.

Und wie sieht es mit einer optimistischen Grundhaltung dem Leben und all seinen Widrigkeiten gegenüber aus?

Positive Psychologie wird oft mit positivem Denken verwechselt. Das Ziel ist nicht, dass wir jeden Tag freudestrahlend durch die Welt gehen. Das geht schlichtweg nicht. Der erste Schritt ist also, dass wir erstmal akzeptieren, dass viel Trubel ist und das emotional etwas mit uns macht. Unsere Gefühlswelt ist wie eine Farbpalette – es gibt sehr fröhliche und bunte Farben, aber eben auch eine sehr düstere Palette. Positive Psychologie sagt nicht, dass wir jeden Tag in den buntesten Farben malen, sondern diese Vielfalt anerkennen. Dadurch erreichen wir früher oder später eine gewisse Lebensqualität.

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