Biathlon-Star im Interview: Lesser über russisches Team: „Wenn Nationalhelden sagten, dass sie den Krieg nicht wollen, das könnte etwas bewegen“

Erik Lesser hat etwas zu sagen. Und er scheut sich nicht, seine Stimme zu erheben. Der Biathlet hat schon bei Olympia auf Missstände in China und beim IOC hingewiesen. Im Gespräch mit dem stern erzählt er, wie er den Russen die Wahrheit über den Ukraine-Krieg vermitteln will.

Herr Lesser, wie haben Sie von dem Krieg in der Ukraine erfahren?

Ich war in der Küche und habe das Frühstück vorbereitet. Meine Lebensgefährtin sagte: „Der Krieg ist ausgebrochen. Die Russen sind in die Ukraine einmarschiert.“ Es erschien mir völlig utopisch, dass das passieren kann. Für mich war Krieg in Europa so weit weg, für meine ganze Generation war das so. Dann habe ich das Moma (Morgenmagazin von ARD und ZDF) eingeschaltet und wurde eines Besseren belehrt.

Haben Sie Kontakt zur ukrainischen Mannschaft aufgenommen? Dmytro Pidrutschnyj hat sich auf Instagram in Uniform gezeigt und erklärt, dass er für sein Land kämpfen wird. Wie ging es Ihnen damit?

Ein paar Tage nach Kriegsbeginn habe ich Kontakt gesucht, weil bekannt wurde, dass das ukrainische Team Weltcups auslassen würde. Mir ist klar, dass viele Athleten beim Militär sind, bei der Polizei, beim Grenzschutz oder Zoll. Wenn zu Hause der Verteidigungsfall ausgerufen wird, müssen sie zu den Waffen greifen. Dass er zwei Wochen nach Olympia in den Krieg ziehen muss, ist eine andere Hausnummer. Das ist für mich nur schwer zu begreifen.

Wann haben Sie darüber nachgedacht, was Sie mit ihrer Prominenz für die Menschen in der Ukraine tun können?

Ungefähr eine Woche nach Kriegsbeginn habe ich versucht, mit Ukrainern Kontakt aufzunehmen. Ich habe bei Twitter gesehen, dass man Takeover machen kann. Eigentlich ist das ein Marketingtrick, um Kanäle zu pushen. Jetzt kann man eine Marketingstrategie mal für etwas wirklich Gutes nutzen. Ich habe überlegt, wen ich meinen 30.000 russischen Followern gegenüberstellen kann. Ich habe Anastassija Merkuschyna angeschrieben, denn sie ist der Kontakt zum ukrainischen Team im Athletenkomitee. Wir haben uns ausgetauscht; ich habe ihr erklärt, was mein Anliegen ist, und ihr auch Freiräume für eigene Ideen gegeben. Ich habe ihr gesagt, dass es mir egal ist, ob mir alle Russen entfolgen. Sie soll machen, was sie für richtig hält. Sie soll richtig auf den Putz hauen. Das hat sie dann auch getan.

Wie fielen die Reaktionen in der Familie, im Team und auch bei den Fans aus?

Ich habe mich vor der Aktion gar nicht so viel ausgetauscht, nur mit meiner Lebensgefährtin. Es war eine Bauchentscheidung und ich habe im stillen Kämmerlein am Handy ausgetüftelt, wie es funktionieren kann. Als es dann losging, habe ich europaweit nur positive Rückmeldung bekommen. Aus Russland kamen, glaube ich, auch sehr negative Worte – aber die konnte ich zum Glück nicht lesen. Anastassija hat die schlimmsten geblockt.

Haben Sie von der russischen Mannschaft Reaktionen seit Kriegsbeginn mitbekommen?

Wenig. Sie haben gesagt, dass sie es schade finden, bei den Weltcups nicht mehr dabei sein zu dürfen, dass sie auch nicht verstehen, warum Krieg herrscht. Aber sie könnten es nicht laut sagen, weil sie Angst hätten vor möglichen Konsequenzen.

Nun protestieren in den vergangenen Tagen trotzdem Hunderte Russen in ihrem Heimatland gegen den Krieg. Würden Sie sich wünschen, dass auch russische Biathleten ihre Prominenz nutzen und sich für die Ukraine aussprechen?

Klar, das wäre für alle das Beste. Wenn sich Nationalhelden hinstellen und sagen, dass sie den Krieg nicht wollen, das könnte etwas bewegen. Ich habe zu ihnen aber zu wenig Kontakt, um Einfluss nehmen zu können. Vielleicht tut sich da noch etwas.

Sie haben in Sachen Olympia, IOC und China ganz offen Missstände angeprangert. Nun Ihre Aktionen für die Ukraine. Welche Rolle kann Sport, können Sportler spielen in solchen Fällen?

Sport ist nie unpolitisch. Es ist eine Floskel, aber es stimmt: Der Sport kann Brücken bauen. Er kann Menschen verbinden. Er zeigt, dass man zusammen viel erreichen kann.

Und bei Versöhnung?

Schwierige Frage. Ich denke, es geht darum, wie viel zerbrochen ist. Wie viele Russen tatsächlich dagegen vorgegangen sind. Ich glaube, es gibt einen Weg, dass sich russische und ukrainische Athleten schnell wieder versöhnen können, weil sie nicht in den Krieg gezogen sind.

Welche sportlichen Konsequenzen sollten Ihrer Meinung nach gezogen werden?

Es ist so, dass die Russische Biathlon Union kein vollwertiges Mitglied in der Internationalen Biathlon Union (IBU) ist. Ich bin dafür, dass auch der belarussische Verband kein vollwertiges Mitglied in der IBU mehr ist. Das bedeutet den Verlust von Stimmrecht, von Wettkämpfen, von Ämtern in der IBU – das wäre ein Zeichen. Das hat die russische Mannschaft nicht davon abgehalten, anzutreten. Ich bin dagegen, sie in Friedenszeiten vollkommen auszuschließen, aber mein Vorschlag ist dennoch ein politisches Zeichen.

Harter Bruch: Wann haben Sie entschieden, Ihre Karriere zu beenden? Was sind die Gründe?

Ich habe die Entscheidung im letzten Sommer getroffen. Die letzten zwei Jahre waren sportlich gesehen nicht einfach. Es fiel mir im Training teilweise schwer, die Motivation zu finden. In der letzten Saison habe ich gemerkt, dass mein Körper nicht mehr so schnell regeneriert. Ich möchte auch öfter zu Hause sein, manchmal mehr, als unterwegs zu sein. Ich habe eine drei Jahre alte Tochter und Angst, zu viel zu verpassen. Diese Punkte haben mich zu meiner Entscheidung geführt und ich habe sie bisher auch nicht bereut. Auch wenn die letzten Rennen noch sehr erfolgreich sein sollten – noch eine Saison dranzuhängen, ist für mich absolut keine Option.

Welchen Abschluss würden Sie sich wünschen?

Ich wünsche mir, dass es nicht regnet und ein fehlerfreies Liegendschießen. Ich will nicht Letzter werden und kurz vor der Umrundung stehen. (lacht) Ich glaube nicht, dass ich ganz nach vorne komme. So realistisch bin ich.

Und wie stellen Sie sich Ihr Leben nach dem Biathlon vor?

Ganz entspannt erstmal. Ich will Familienvater sein und meiner Lebensgefährtin in ihrem Job die Freiheit geben, die ich die letzten Jahre bekommen habe. Ich möchte Trainer werden, aber zunächst karrieretechnisch keine großen Aufgaben übernehmen. Das habe ich auch schon mit meinem Arbeitgeber besprochen. Wann und in welcher Form ich einsteige – das muss noch warten.

Könnten Sie sich vorstellen, wie Ihr früherer Teamkollege Arnd Peiffer, Experte im Fernsehen zu werden?

Ja, das spukt schon ein bisschen im Kopf herum. Die Sendeanstalten müssen natürlich Lust darauf haben, die Konstellation muss passen. Mit Arnd wäre so ein Part sehr interessant und es würde uns beiden richtig Spaß machen. Aber der Terminkalender ist schneller voll, als man gucken kann. Dann wird aus der Ruhephase eine stressige Phase und daher gehe ich das entspannt an und nicht aktiv auf Jobsuche.

Posts aus derselben Kategorie: