Bund-Länder-Flüchtlingsgipfel: Scholz stand allein gegen 16 – und ist trotzdem der klare Sieger

Bund-Länder-Flüchtlingsgipfel Scholz stand allein gegen 16 – und ist trotzdem der klare Sieger

Stephan Weil, Olaf Scholz und Hendrik Wüst auf ihrer Pressekonferenz nach dem Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern

Niedersachsen Ministerpräsident Stephan Weil (SPD; l.), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, M.) und Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst (CDU) auf ihrer Pressekonferenz nach dem Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern in Berlin

© John MacDougall / AFP

Große Töne hatten die Ministerpräsidenten vor dem Treffen mit dem Kanzler gespuckt, hinterher müssen sie doch ziemlich kleine Brötchen backen. Und dass es im Herbst mehr Geld gibt, ist keineswegs ausgemacht.

Olaf Scholz wird oft nachgesagt, er halte sich für oberschlau. Aber manchmal ist er es eben auch. Das Ergebnis des Flüchtlingsgipfels in Berlin sieht aus wie ein Kompromiss. In Wahrheit haben die Länder fast nichts erreicht, während der Kanzler sie mit der Einmalzahlung von einer Milliarde Euro zum Schweigen gebracht hat. Das klingt nicht nur nach viel Geld, das ist es natürlich auch – aber gemessen an den Forderungen der Ministerpräsidenten ist es in etwa so, als hätten 16 Gäste im Restaurant ein Drei-Gänge-Menu auf Kosten des Hauses bestellt und müssten nun erstmal von einer Schüssel Spaghetti mit Tomatensauce satt werden. Man könnte auch sagen, Scholz hat die Ministerpräsidenten über denselben Tisch gezogen, auf dem er das Essen serviert hat.

Ministerpräsidenten nach Flüchtlingsgipfel wie reumütige Sünder

Scholz und sein Finanzminister Christian Lindner waren seit Wochen verärgert darüber, dass die Länder nur immer neue Forderungen stellten, aber nicht anerkennen wollten, was der Bund bereits leistet. Das hat der Hausherr im Kanzleramt seine Besucher offensichtlich überzeugend spüren lassen. Am Mittwochabend saßen Stephan Weil aus Niedersachsen und Hendrik Wüst aus Nordrhein-Westfalen stellvertretend für ihre Kolleginnen und Kollegen fast schon wie reumütige Sünder neben dem Kanzler und würdigten ausdrücklich die finanziellen Leistungen des Bundes. 

Vor allem Hendrik Wüst, der zuvor noch den Eindruck erweckt hatte, er werde sich nach Art der Letzten Generation im Kanzleramt festkleben, um ein Ergebnis nach seinen Vorstellungen zu erreichen, zog im Saldo nicht besonders erfolgreich von dannen: Von seinem Anteil an der Milliarde des Bundes muss man eine ziemlich hohe Summe an politischem Lehrgeld abziehen, die der junge Ministerpräsident zu bezahlen hatte. Da fiel es Olaf Scholz leicht, die Stunden zuvor witzelnd zu resümieren: Er sei „ganz froh, dass wir gut zusammengefunden und so nett beraten haben“.

Für Scholz hat dieses Ergebnis nur Vorteile. Mit der Milliarde, die der Bund jetzt einmalig bereitstellt, entgeht er dem Vorwurf, er ignoriere die unbestreitbaren Probleme vieler Kommunen einfach. Zugleich nimmt er die Länder für das Geld aber in die Pflicht, endlich Defizite in der Organisation ihrer Migrationspolitik anzugehen, die ihn schon lange ärgern, zum Beispiel die fehlende Digitalisierung der Ausländerbehörden. Das Wohlverhalten des Bundes im November, wenn – laut dem Ergebnis vom Mittwoch – eine grundsätzlich neue Struktur der Finanzierung beschlossen werden soll, wird sehr davon abhängen, wie die Regierungschefs der Länder bis dahin diese Aufgaben lösen.

Scholz an Söder: Nicht mit mir!

Ähnlich verhält es sich mit den politischen Konsequenzen. Scholz hatte zuletzt mit wachsendem Unmut die Forderungen mancher Ministerpräsidenten zur Kenntnis genommen. Je südöstlicher das Bundesland desto absurder erschien dem Kanzler das Verhalten. CSU-Chef und Ministerpräsident Markus Söder hat seine ganze Kampagne für die Landtagswahl am 8. Oktober darauf angelegt, gegen den Bund zu schimpfen und der Ampel eine anti-bayerische Politik vorzuwerfen – zugleich aber ungeniert die Hand für mehr Geld in der Flüchtlingshilfe aufgehalten. So nicht mit mir, hat ihm der Kanzler jetzt klargemacht. Wenn Bund und Länder sich im November wieder treffen, ist Söder zwar mit höchster Wahrscheinlichkeit noch Ministerpräsident, aber der Staub wichtiger Wahlen in Bayern und auch in Hessen hat sich bis dahin gelegt.

Das alles heißt nicht, dass Scholz nun nur zusehen muss, was die Länder zustande bringen. Auch die Aufgaben des Bundes bei Grenzkontrollen, Abschiebungen, europäischer Asylpolitik und Rückführungsabkommen sind groß, um nicht zu sagen gewaltig. Aber hier Fortschritte zu erzielen, ist nicht nur im Interesse von Bund und Ländern (und wenn man es gut und richtig macht sogar der Asylberechtigten, Kriegsflüchtlinge und Migranten). Erfolge in diesen Fragen könnten auch die Situation insgesamt entschärfen und damit Kosten senken. Dann hätte Scholz auch im November gute Argumente, die Taschen des Bundes zuzuhalten, was definitiv sein Ziel ist. Deshalb steht auch in dem Papier vom Mittwoch kein Wort darüber, dass es im Herbst mehr Geld für die Länder geben soll. Es soll nur anders verteilt werden.

Schon schlau.

wue

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