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Debatte um Sexkaufverbot Prostituiertenverband lädt Scholz zu Bordellbesuch ein
Die Politik streitet über ein „Sexkaufverbot“, auch der Kanzler schaltete sich kürzlich in die Debatte ein. Seine Sätze verärgern den Prostituiertenverband. Der hofft jetzt auf ein Gespräch mit Olaf Scholz – in einem Bordell.
Mittwochmittag, der Bundestag in Berlin: Während der Regierungsbefragung am 15. November will die CSU-Politikerin Dorothee Bär vom Bundeskanzler wissen, wie seine Haltung zum Thema „Sexkaufverbot“ lautet. „Wir müssen viel unternehmen, um die Prostitution zurückzudrängen“, antwortet Olaf Scholz. Auf die schwammige Aussage folgt die Nachfrage Bärs: „Finden Sie es als Feminist akzeptabel, wenn Männer Frauenkörper kaufen können?“
Scholz stellt klar: „Das hat mich moralisch immer empört.“ (Der stern berichtete im Liveblog.) Diese Reaktion wiederum kritisiert der Prostituiertenverband, der nun mit einem persönlichen Brief an den Kanzler versucht, mit Scholz ins Gespräch zu kommen – in einem Bordell.
„Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, als Berufsverband für Sexarbeitende in Deutschland besorgt uns Ihre aktuelle Äußerung zum Thema Prostitution und ‚Sexkauf‘ zutiefst. Sie widersprechen damit der Position Ihrer eigenen Partei und auch dem zuständigen Ministerium“, heißt in dem Brief. „Die Debatte rund um das ‚Nordische Modell‘ wird bereits jetzt – vor allem von der CDU/CSU – mit zu viel Moral, zu wenig Lösungsansätzen und leider gänzlich ohne die Betroffenen geführt. Das ist aus unserer Sicht ein großer Fehler.“
Bei dem „Nordischen Modell“ handelt es sich um die Kriminalisierung der Kunden von Prostituierten durch das sogenannte Sexkaufverbot. Es wurde erstmals 1999 in Schweden eingeführt, weshalb zunächst vom „Schwedischen Modell“ gesprochen wurde. Doch solche Verbote ließen die Arbeit von Prostituierten gefährlicher werden, schreibt der Verband und untermauert seine Aussage mit Erhebungen aus Frankreich und Irland sowie den Erfahrungen in Deutschland in der Zeit der Pandemie. „Das Leben von Betroffenen verändert sich unter einem Sexkaufverbot zum Schlechten – perfiderweise vor allem das jener Menschen, die damit vorgeblich am meisten geschützt werden sollen“, heißt es in dem Brief.
Der Verband wünscht sich ein Gespräch mit dem Kanzler, ordnet dessen Worte auf der Sitzung des Bundestags ein: „Wovon Sie in der Fragestunde im Bundestag gesprochen haben, ist Menschenhandel, Ausbeutung und sexuelle Gewalt – gegen diese stehen wir an Ihrer Seite.“ Der Wunsch nach Teilhabe an Umgestaltung des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) mündet in einer Einladung an Scholz: „Gerne möchten wir Ihnen unsere Expertise zur Verfügung stellen und laden Sie dazu herzlich zu einer Bordellführung mit Gespräch in Berlin ein.“
Johanna Weber, Sprecherin des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V., spricht mit dem stern über die Einladung an Scholz
Frau Weber, wie war Ihre persönliche Reaktion auf die Worte des Bundeskanzlers im Bundestag?
Ich war entsetzt, dass er sich von Frau Bär in die Enge treiben lassen hat. Normalerweise sagt unser Bundeskanzler nie etwas, er ist Weltmeister darin, Sätze ohne Ergebnis zu formulieren. Aber in diesem Fall hat er Dinge gesagt, die der Arbeit seines eigenen Familienministeriums im Weg stehen können.
Glauben Sie, dass der Kanzler ins Bordell kommen wird?
Nein, auf keinen Fall. Er muss aber auch nicht unbedingt selbst kommen, denn eigentlich ist er nicht zuständig, das macht das Familienministerium. Aktuell läuft für viel Geld eine Evaluation des ProstSchG, auf die ich sehr setze, auch wenn mir die Ergebnisse nicht immer gefallen werden. Es werden 2000 Sexarbeitende befragt, 700 Behördenmitarbeitende, bei denen wir uns anmelden müssen, und noch viele Beteiligte mehr. Es ist die größte Umfrage zum Thema Prostitution in Europa, die jemals stattfand, und die Ergebnisse werden für uns unglaublich wichtig sein. Daher muss man jetzt nicht hektisch Beschlüsse fassen, sondern sollte das Ergebnis, das im Sommer 2025 vorliegt, abwarten.
Sind Sie in Sorge, dass Scholz sich mit dem Sexkaufverbot zu sehr der Haltung der CDU/CSU annähert?
Ja und nicht nur ich, sondern die ganze Branche. Viele Kolleg:innen sagen jetzt schon: ‚Okay, dann drehe ich eben nur noch Pornos.“ Wenn ich dann sage, dass sie doch weiterarbeiten dürfen, heißt es „Dann kommt doch keiner mehr“. Und genau so ist es. Der Bundeskanzler hat da eine Riesenangst extrem geschürt. Es ist ja nicht so, als würden wir die Probleme in der Branche nicht sehen. Wir würden gern gezielt dazu beitragen, sie zu lösen.
Wird ein Sexkaufverbot den Weg in die Illegalität weiter befördern?
Hundertprozentig. Ich bin auf einer STI-Tagung (DSTIG special – Fachtagung „Sexuelle Gesundheit in krisenhaften Zeiten“, Anm. d. Red.), dort kam gerade ein Vortrag von einer Kollegin des Gesundheitsamtes in Köln, die ganz klar gesagt hat, was bei Verboten der Sexarbeit passiert: Die Rate an Geschlechtskrankheiten steigt evident an! Die ganzen Kolleg:innen, die jetzt schon unter prekären Bedingungen arbeiten, müssen wir anders als durch die Freierbestrafung abholen. Das ist reine Augenwischerei. Sie können dann nicht mehr in Bordellen arbeiten, weil die dann verboten sind. Und für die angepriesenen Ausstiegsprojekte gibt es weder Konzepte noch das nötige Geld. Somit wird es wie in Frankreich werden, wo diese Unterstützung eher Lippenkenntnisse sind.
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