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AstraZenecas Corona-Impfstoff ist in der EU nicht mehr zugelassen. Der Pharma-Riese selbst beantragte die Rücknahme der Zulassung. Spielten dabei auch Sicherheitsbedenken eine Rolle? Viel wahrscheinlicher sind ganz andere Interessen, sagt unser Autor.
Eine kurze Vorgeschichte sei mir erlaubt: Es war um Ostern 2021 und damit ein gutes Jahr nach Ausbruch der Pandemie, als ich mir mit einem Mausklick außer der Reihe eine Dosis Impfstoff sichern konnte. In Hamburg waren damals überraschend einige Tausend Dosen des Vakzins von AstraZeneca verfügbar geworden, und die Stadt gab allen über 60 Jahren die Chance, einen ersten Piks zu ergattern. Ich werde die erleichterte Stimmung im aufgebauten Impfzentrum in einer der Messehallen nicht vergessen. Endlich konnten wir etwas gegen das Virus tun, das nicht nur Hamburg, sondern beinahe die ganze Welt lahmgelegt hatte. Von den schrecklichen Bildern, die von den Intensivstationen überall kamen, ganz zu schweigen. Also rein damit in den Oberarm!
Wochen später sollte nach Plan noch eine zweite Dosis folgen, um die Immunantwort zu stabilisieren. Dazu kam es bei mir aber schon gar nicht mehr: Anfang Juli war nämlich der Weg zu den neuen mRNA-Impfstoffen frei, die überragende Ergebnisse in Studien hatten, auch für alle, die zuvor mit Vaxzevria geimpft worden waren. Denn – und an der Einsicht hat sich bis heute nichts geändert – mischt man die Corona-Impfstoffe, scheint das den Schutz vor einer schweren Erkrankung an Covid-19 eher zu stärken als zu schwächen. Und nun lesen wir Astra-Geimpften also, dass die Zulassung unseres Impfstoffes für die EU zurückgezogen wurde. Müssen wir uns fürchten? Droht uns da noch was?
Corona-Impfstoff: AstraZeneca hat jetzt selbst einen Rückzieher gemacht
„Medicinal product no longer authorised“ steht inzwischen diagonal über der zusammenfassenden Beschreibung von Vaxzevria und allen weiteren Dokumenten zu diesem Corona-Impfstoff, die von der Europäischen Medizinagentur (EMA) unter der Referenznummer EMA/609262/2021 ins Netz gestellt wurden. In der deutschen Version fehlt der Hinweis auf den Entzug der Zulassung noch, aber das ist ohne Bedeutung, wird das Vakzin bei uns doch schon seit Ende 2021 nicht mehr eingesetzt.
Mit 14,4 Millionen von insgesamt gut 224 Millionen Dosen, die bis zum offiziellen Ende der Pandemie im vergangenen Frühjahr geliefert wurden, spielte der Impfstoff von AstraZeneca hier ohnehin nur eine untergeordnete Rolle. Zwar gab es schon kurz nach der Notfallzulassung Hinweise auf seltene Nebenwirkungen, etwa Hirnvenenthrombosen. Doch die EMA kam nach Prüfung zu dem Schluss, dass der Nutzen solche Risiken (etwa zwei bis acht Fälle pro einer Million Impfdosen Vaxzevria) weit überwog.
Nach der Notfallzulassung in Großbritannien im Dezember 2020, genau ein Jahr nach den ersten bekannt gewordenen Covid-19-Erkrankungen im chinesischen Wuhan, folgten Autorisierungen des Impfstoffes in über 170 Ländern der Erde. Mit Datum vom 27. März dieses Jahres aber wurde die Zulassung für die Europäische Union zurückgezogen und per Beschluss der EU-Kommission zum 7. Mai in Kraft gesetzt.
Wohlgemerkt: Es handelt sich um den Entzug einer Vermarktungsautorisierung – nicht etwa um eine neue Sicherheits- oder Wirksamkeitseinstufung. Die Autorisierung, die bis Ende Oktober 2027 galt und dann für weitere fünf Jahre hätte erneuert werden können, wäre auch einfach weitergelaufen, hätte nicht AstraZeneca selbst jetzt einen Rückzieher gemacht.
Spekulationen über ein Gerichtsverfahren in Großbritannien
Es wird spekuliert, dass das mit einem kommenden Gerichtsverfahren zusammenhängt, das in Großbritannien anhängig ist. Einem damals 44-jährigen Engländer war im April 2021 der AstraZeneca-Impfstoff verabreicht worden. Zehn Tage später erlitt er unter anderem Hirnblutungen, dazu kam ein Blutgerinnsel. Was folgte, war ein einmonatiges Koma und eine schwere Beeinträchtigung des gesamten Lebens bis heute mit vielen Reha-Maßnahmen. Mit der staatlichen Entschädigung von umgerechnet knapp 140.000 Euro wollen er und seine Frau sich offenbar nicht zufrieden geben.
Doch war es wirklich der Impfstoff, der zu der schweren Behinderung führte? Und hätte eindringlicher vor möglichen Nebenwirkungen gewarnt werden müssen? Darüber wird bald vor Gericht zu entscheiden sein, und das Urteil könnte den Konzern Millionen kosten. Dass dieser Prozess und womöglich noch folgende jetzt zum Antrag auf ein Ende der Marktzulassung geführt hätten, ist allerdings bei näherer Betrachtung unwahrscheinlich.
Corona-Impfstoff Vaxzevria: An der Sicherheit hat sich nichts geändert
Mögliche Nebenwirkungen wie die genannten seltenen Hirnvenenthrombosen sind seit 2021 bekannt, und an der Einschätzung der Sicherheit von Vaxzevria hat sich seither weder bei der EU noch beim Hersteller etwas geändert. Was sich aber sehr wohl dramatisch geändert hat, ist die Bedeutung von Vaxzevria: Das Vakzin wird nicht einmal mehr produziert und verliert mit jeder neuen Variante des Corona-Virus an potenzieller Wirksamkeit.
In Indien, wo Vaxzevria unter dem Namen „Covishield“ vom Serum Institute of India in Lizenz hergestellt worden war und anfangs große Bedeutung hatte, brach der Schutz vor Covid-19 mit dem Aufkommen der Omikron-Varianten deutlich ein. Mit um die 70 Prozent war er zwar immer noch beachtlich, lag aber rund 20 Prozent unter den Produkten der Konkurrenz wie Biontech/Pfizer oder Moderna. Da deren Impfstoffe auf einem anderen Prinzip als dem von AstraZeneca beruht, lassen sie sich leichter an neue Entwicklungen des Corona-Virus anpassen.
So hat die Notfall-Taskforce der EMA beispielsweise gerade neue Booster-Impfstoffe für den kommenden Herbst empfohlen, die diesmal auf die Virus-Variante JN.1 zielen. Auch sie gehört zur mittlerweile unüberschaubar großen Familie der Omikron-Subvarianten. AstraZeneca wäre damit ebenfalls, wie alle Inhaber einer Markzulassung, aufgefordert gewesen, seinen Impfstoff an JN.1 anzupassen. Doch wozu all die Mühe, wenn der ohnehin nicht mehr produziert wird?
Hohe Gebühren für Zulassungen
Egal, könnte man denken. Läuft die Zulassung halt irgendwann aus. Doch natürlich lässt sich die EMA Zulassungen und sogar jeden Kontakt zu dieser Behörde mit Bezug auf eines der medizinischen Produkte bezahlen. Mit Datum vom 14. März wurden diese Gebühren gerade noch erhöht. Wurde 1995 das „Inverkehrbringen mit vollständigen Unterlagen“ für ein Humanarzneimittel beispielsweise noch mit 286.900 Euro berechnet, so sind es inzwischen 357.600. Auch alle anderen Summen wurden nach oben korrigiert.
Und damit ist es nicht getan. Denn die Gebühren beziehen sich lediglich auf eine bestimmte Dosierung und Darreichungsform. Wird daran etwas geändert, fallen zusätzliche Zahlungen an die EMA an. Und natürlich gibt es auch noch Jahresgebühren, Inspektionsgebühren, Erneuerungs- oder Übertragungsgebühren. Anders gesagt: Welches einigermaßen kostenbewusst denkende Management sollte bereit sein, solche Zahlungen für ein Produkt zu leisten, das gar nicht mehr produziert wird, und dessen Produktion auch nicht mehr aufgenommen wird?
AstraZeneca-Geimpfte müssen sich keine Sorgen machen
Es sind also so gut wie sicher solche Überlegungen aus geschäftlichem Interesse heraus, die AstraZeneca zu seinem Schritt bewogen haben. Weitere Rücknahmen von Marktzulassungen sind schon angekündigt, auch in Großbritannien und schließlich weltweit. Sorgen müssen sich Geimpfte nun aber nicht machen, wenn ihnen mal Vaxzevria gespritzt wurde. Diesen Impfstoff hat unser Organismus schon lange „vergessen“ – hoffentlich nicht aber auch jenen Immunschutz gegen Covid-19, zu dem auch Vaxzevria einmal beigetragen hat.
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