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Kaum war die Genehmigung erteilt, wurden auch schon Bäume gefällt. Im Reinhardswald in Hessen haben Naturschützer den Kampf gegen einen Windpark verloren. Vorerst zumindest.
Sieht aus, als sollten schnell Fakten geschaffen werden in Deutschlands derzeit wohl umstrittenstem Windpark-Projekt, im Reinhardswald in Hessen, auch bekannt als „Grimms Märchenwald“. Mitte vergangener Woche hatte der Regierungspräsident in Kassel die ersten 18 Windkraft-Anlagen auf einem Höhenzug hinter der Sababurg genehmigt. Kurz darauf starteten auch schon die Baumfällarbeiten.
„Ich komme gerade aus dem aus dem Wald und bin schockiert“, sagte an diesem Mittwoch Oliver Penner vom Aktionsbündnis Märchenland dem stern. Die Baumfällarbeiten seien weit vorangeschritten. Das Aktionsbündnis ist eine von mehreren Bürgerinitiativen, die den Bau des Windparks in dem historischen Wald verhindern will und bereits seit Jahren dagegen kämpft.
Die aktuelle Lage rund um das Bäumefällen sei sehr intransparent. Auch, weil es gar keine Gelegenheit gegeben habe, eine eigentlich vorgesehene 14-tägige Frist für Einsprüche zu nutzen, kritisiert der Gegner des Windparks. „Am Tag der Genehmigung hat man mit den Fällarbeiten begonnen.“ Offenbar sollten schnell Tatsachen geschaffen werden.
Naturschützer kämpfen mit neuen Klagen um den Reinhardswald
Nach Informationen der „Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen Zeitung“ hatte die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald Ende der Woche gemeinsam mit der Bürgerinitiative Oberweser-Bramwald eine Klage und einen Eilantrag beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingereicht. Das Gericht hatte laut der „HNA“ daraufhin gebeten, dass keine Bäume gefällt werden, bis über den Eilantrag entschieden sei. Doch hektisch gefällt wurde trotzdem. Die Windpark Reinhardswald GmbH betonte gegenüber der lokalen Presse sinngemäß, man agiere innerhalb des rechtlichen Rahmens.
Doch die Empörung ist groß in der Region. Dort, wo bislang ein Wald mit teils sehr alten Bäumen steht, der Heimat vieler – auch seltener Tierarten ist – wird demnächst wohl permanent Baulärm zu hören sein. Es sei die „größte nordhessische Baustelle im Wald“, haben Naturschützer Penner und seine Mitstreiter errechnet. Sie erstrecke sich über acht Kilometer Luftlinie. Die Bauzeit werde schätzungsweise zwei Jahre betragen.
Nach Meinung der schwarzgrünen Landesregierung in Hessen ist dieses Projekt jedoch nötig für den – globalen – Klimaschutz. Umweltministerin Priska Hinz von den Grünen hatte den Windpark in der vergangenen Woche gegenüber der „Bild“-Zeitung als alternativlos bezeichnet und gesagt: „Die Windenergie leistet für die Energiewende und damit für den Erhalt der Natur einen entscheidenden Beitrag.“ Ohne diese konsequente und engagierte Klimapolitik werde „es bald gar keinen Wald mehr geben.“
Nabu bewertet den Eingriff in die Natur durch Windparks in Hessen als „möglichst gering“
Schützenhilfe bekommt die grüne Ministerin teils auch von Vertretern der Umweltverbände. So betonte der Naturschutzbund Nabu auf eine Anfrage des stern, der Verband habe erreicht, dass zum Ausgleich im Reinhardswald ein mehr als 1000 Hektar großer Naturwald gesichert und in Kürze als Naturschutzgebiet ausgewiesen werde. „Dort werden künftig gar keine Bäume mehr für die Holznutzung gefällt.“ In Hessen würden Flächen für Windparks so ausgewählt, dass „der Eingriff in die Natur möglichst gering gehalten wird“.
Dennoch – im Reinhardswald dürfen 29 Hektar Wald für den Bau des Wind-Industrieparks gerodet werden. Manche der Bäume sind Medienberichten zufolge an die 200 Jahre alt. Die Planer und Befürworter sagen, es werde nur ein kleiner Teil des Waldes bebaut – und auch nur einer, an dem der Borkenkäfer ohnehin viele Bäume zerstört habe. Umweltschützer kontern, man könne solche Gebiete ja auch aufforsten und müsse sie nicht zubetonieren.
Dass man ausgerechnet ein Naturparadies zerstört oder zumindest nachhaltig schädigt, um etwas für den weltweiten Klimaschutz zu tun, das leuchtet vielen Menschen nicht ein. Wälder gelten als wichtiger CO2-Speicher. „Es gibt in der Region viel Protest gegen das Projekt. 90 Prozent der Menschen hier wollen die Windräder nicht“, sagte auch Oliver Penner von „Rettet den Reinhardswald“.
Jedes einzelne Windrad muss genehmigt werden
Aus Sicht der Naturschützer ist die Sache allerdings noch lange nicht entschieden. Rechtlich gebe es sehr viele Einwände gegen die Windkraftablagen, von denen jede einzelne geplant und genehmigt werden müsse. Die Gründe reichten von Trinkwasser- bis hin zu Brand- oder Denkmalschutz. Ein Großteil der Anlagen seien aus seiner Sicht nicht genehmigungsfähig, betonte Penner. Auch die Lärmbelastung der Anwohner durch den Bau des Windparks sei ein Thema.
Um den Reinhardswald tobe ein Kampf zwischen Klima- und Naturschutz, beschrieben es manche Medien, nachdem die Entscheidung in der vergangenen Woche bekannt geworden war. Es ist das erklärte Ziel der Bundesregierung, die Windkraft in Deutschland deutlich auszubauen. Weil ein ständiger Streit um die Standorte der ungeliebten riesigen „Spargel“ schwelt, weicht man, wie das Beispiel Reinhardswald zeigt, inzwischen auch auf Regionen aus, die eigentlich tabu sein sollten – bewaldete und artenreiche Gebiete in hügeligen Gegenden, die wichtige Rückzugsorte der Natur sind.
Im Gegensatz zum Nabu hält die Deutsche Wildtier Stiftung diese Art der Klimaschutz-Politik für falsch. „Wir kritisieren den Bau von Windkraftanlagen im Wald und anderen sensiblen Ökosystemen“, sagte Sebastian Brackhane, der für diese Organisation die Windkraft-Problematik genau beobachtet, dem stern. Der Wald – ohnehin in Deutschland inzwischen auf nur noch ein Drittel der Landesfläche geschrumpft – sei ein naturnahes Ökosystem, der durch solche Industrieanlagen nachhaltig geschädigt werde. Gerade im Wald leben viele seltene Vogelarten und auch Fledermäuse, von denen hierzulande alle 25 Arten besonders geschützt sind.
„Beim Reinhardswald haben wir ein in sich geschlossenes, sehr naturnahes, zusammenhängendes Waldgebiet“, sagte Brackhane. Zwar argumentierten die Befürworter, dass der Windpark Reinhardswald hauptsächlich auf sogenannten Fichtenkalamitätsflächen gebaut werden soll. „Aber auch diese können sich mit der Zeit und ohne Windkraft wieder zu naturnahen, artenreichen Wäldern entwickeln.“
Tod durch Windräder: Fliegen Fledermäuse vorbei, platzen ihre Lungen
Windräder bedeuteten den sicheren Tod vieler Tiere, erklärte der Experte. So würden Vögel beispielsweise durch die Rotoren erschlagen, bei vorbeifliegenden Fledermäusen würden die Lungen durch den von den Windrädern erzeugten Druckunterschied zerfetzt.
Generell sei Windenergie wichtig für den globalen Klimaschutz, betont auch die Deutschen Wildtier Stiftung. Die Anlagen sollten jedoch in Gebieten gebaut werden, die ohnehin schon bebaut, versiegelt oder landwirtschaftlich intensiv beackert würden, beispielsweise auf Maisfeldern.
Dass die Windindustrie heute teils so stark kritisiert werde, liege auch an ihrem Wandel, schätzt der Experte. Diese Branche sei früher ein Gebiet von Pionieren gewesen, stark motiviert vom Klimaschutz. Mittlerweise sei es eine knallharte Industrie mit finanziellen Interessen.
Quellen:Rettet den Reinhardswald, Deutsche Wildtierstiftung, „Bild.de„, „HNA.de„, „Süddeutsche.de„,
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