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Prozess um Anschlag von Halle „Motiv auf der aller-allerniedrigsten Stufe“ – Richterin ringt bei Urteil mit Emotionen
Wegen des Anschlags auf die Synagoge von Halle muss der Rechtsextremist Stephan B. lebenslänglich ins Gefängnis und anschließend in Sicherungsverwahrung. Der Urteilsspruch verlangte der vorsitzenden Richterin viel ab.
Von Tilman Gerwien, Magdeburg
Der Attentäter von Halle wird in seinem Leben möglicherweise nie mehr freikommen. Das Oberlandesgericht Naumburg verurteilte den 28 Jahre alten Stephan B., der im Oktober 2019 die Synagoge von Halle mit Waffengewalt attackiert und im weiteren Verlauf zwei Menschen ermordet hatte, heute Vormittag zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Die Richter stellen zudem die „besondere Schwere der Schuld“ fest. Und sie ordnen für die Zeit nach Verbüßung der Haftstrafe die Unterbringung des Täters in die sogenannte „Sicherungsverwahrung“ an.
„Der Angeklagte wollte möglichst viele Menschen jüdischen Glaubens töten“, sagte Richterin Ursula Mertens in ihrer Urteilsbegründung. Er habe „unendliches Leid verursacht“. Sie sprach von einer abscheulichen, feigen, menschenverachtenden Tat“ und bezeichnete den während seiner Tat in dunkler Kampfmonitur gekleideten Stephan B. als „bösen, schwarzen Mann“. Er sei vom „Bedürfnis nach Anerkennung, Dummheit, Hass gegen sich und die Welt“ geleitet gewesen.
Anklagepunkte: von Mord bis Volksverhetzung
Die Generalbundesanwaltschaft hatte Stephan B. zweifachen Mord und versuchten Mord in 68 Fällen vorgeworfen. Hinzu kamen weitere Anklagepunkte: gefährliche Körperverletzung, räuberische Erpressung sowie Volksverhetzung. Oberstaatsanwalt Kai Lohse hatte den Anschlag von Halle in der Verhandlung als den „widerwärtigsten antisemitischen Akt seit dem Zweiten Weltkrieg“ bezeichnet. Das besonders grausame Verbrechen hatte in ganz Deutschland, aber auch im Ausland für Erschütterung und Empörung gesorgt.
Das Gericht hat Stephan B. nun in allen wesentlichen Anklagepunkten für schuldig befunden. Auch mit dem Strafmaß entsprechen die Richter unter Vorsitz von Ursula Mertens den Forderungen der Anklagebehörde. Die Motive des Angeklagten seien „auf der aller-allerniedrigsten Stufe anzusiedeln“.
Verteidiger bittet um „gerechtes Urteil“ für Stephan B.
Die Verteidiger von Stephan B. hatten in ihrem Plädoyer keine eigene Forderung für das Strafmaß gestellt, sondern lediglich Zweifel an der Schuldfähigkeit des Angeklagten geäußert und das Gericht um ein „gerechtes Urteil“ für ihren Mandanten gebeten.
In ihrem zum Teil sehr emotional gehaltenen Vortrag wandte sich die Richterin auch direkt an den Angeklagten. Sie sagte zu ihm: „Herr B., mir fehlen die Worte, dies sachlich zu bewerten, wie es meine Aufgabe ist.“ Der Mord an Kevin S., den Stephan B. in einem Döner-Imbiss erschoss, sei „unfassbar grausam, menschenverachtend und von einer Niedertracht geprägt, die ihresgleichen sucht“.
Richterin nennt Opfer in der Synagoge Helden
Ursula Mertens würdigte auch die Opfer in der Synagoge. Sie seien „Helden“ gewesen, weil sie trotz Todesangst in dem Gotteshaus ausgeharrt hätten. Besonders in Erinnerung sei ihr als Richterin die Aussage einer Zeugin jüdischen Glaubens gewesen, die zum Tatzeitpunkt im Gotteshaus war und im Prozess berichtet habe: „Bei jedem Schuss in der Türe hat es ihr das das Herz zerrissen.“ Die Sekunden, in denen der Täter seine Waffen nachladen wollte, seien ihr „wie unendlich lange Stunden vorgekommen.“
Im Normalfall kann ein zu lebenslänglich Verurteilter nach Verbüßung einer Mindesthaftdauer von 15 Jahren vorzeitig auf Bewährung freigelassen werden, wenn er dann als ungefährlich für die Allgemeinheit eingestuft wird. Weil das Gericht in Magdeburg aber eine „besondere Schwere der Schuld“ festgestellt hat, ist dies für Stephan B. ausgeschlossen. Ihn erwartet nach 15 Jahren eine weitere Haftzeit – wie lange sie dauern soll, wird von der Justiz dann entschieden.
„Sicherungsverwahrung“ für Stephan B.
Die „Sicherungsverwahrung“, die das Gericht im Fall Stephan B. für die Zeit nach einer etwaigen Haftentlassung anordnete, ist keine Strafe. Täter, die ihre Schuld verbüßt haben und deshalb eigentlich freigelassen werden müssen, können trotzdem in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht werden, wenn von ihnen auch weiterhin schwere Straftaten zu erwarten sind.
Der Rechtsextremist Stephan B. wollte am 9. Oktober 2019 mit selbst gebauten Schusswaffen und Sprengsätzen in die Synagoge von Halle eindringen, um einen Massenmord an 52 Gläubigen zu begehen, die sich dort an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, versammelt hatten.
Erschossene in Halle waren Zufallsopfer
Als sein Versuch scheiterte, erschoss er zwei Zufallsopfer: Noch vor der Synagoge die Passantin Jana L. und kurz darauf in einem Döner-Imbiss den Gast Kevin S. Auf seiner Flucht verletzte der Täter zwei Personen durch Schüsse und versuchte weitere zu töten. Die Tat übertrug er per Helmkamera als Livestream im Internet. Nach seiner Festnahme legte Stephan B ein umfangreiches Geständnis ab.
Aus Platz- und Sicherheitsgründen fand der Prozess nicht in Naumburg, sondern im Gebäude des Magdeburger Landgerichts statt. Seit Juli war dort über das antisemitisch und fremdenfeindlich motovierte Verbrechen verhandelt worden.
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