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Rundfunk-Streit Der Innenminister ist weg, doch der Koalitionskrach bleibt – das große Chaos in Sachsen-Anhalt
Corona-Pandemie, Koalitionskrise und anlaufender Wahlkampf: In Sachsen-Anhalt muss Regierungschef Haseloff derzeit viel managen. Jetzt fährt ihm ausgerechnet der Innenminister so in die Parade, dass er ihn rausschmeißt. Hilft ihm das oder schadet es ihm?
Am Freitagvormittag telefoniert Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff nacheinander wichtige Stimmen seiner Landes-CDU an und fragt, was mit dem Innenminister passieren soll: Halten oder rausschmeißen? Auch mit CDU-Bundeschefin Annegret Kramp-Karrenbauer soll der 66-Jährige telefoniert haben. So wird es aus Parteikreisen geschildert. Nach dieser internen Stimmungssondierung schickt die Staatskanzlei eine knappe Pressemitteilung: Holger Stahlknecht ist nicht mehr Innenminister.
Entlassung wegen eines schwer gestörten Vertrauensverhältnisses. Weil Stahlknecht öffentlich über die Option einer CDU-Minderheitsregierung philosophierte, während der Regierungschef versucht, mitten in der Corona-Pandemie irgendwie die Koalition zusammenzuhalten.
Damit vergrößert Haseloff gezwungenermaßen das Chaos, das sich in seiner schwarz-rot-grünen Regierung, im Landtag und bei der CDU aufstaut. Hilft ihm die personelle Notbremse bei dem verzweifelten Versuch, das seit 2016 regierende erste Kenia-Bündnis in Deutschland trotz des verfahrenen Streit um die Erhöhung des Rundfunkbeitrags zu retten, oder verschlechtert sie auch seine Position?
Termine, Termine, Termine
Zwingt sein hartes Eingreifen gegen den langjährigen Innenminister jetzt auch die Koalitionspartner zum Einlenken, stärkt es Haseloffs Gewicht in der sehr eigenwilligen und hinter den Kulissen durchaus gespaltenen CDU-Fraktion – oder bricht die Kenia-Koalition trotzdem auseinander? Will oder muss Haseloff die Vertrauensfrage im Parlament stellen und wird er sie überstehen? Sicher lässt sich das am Tag der Stahlknecht-Entlassung noch nicht sagen.
Es kommt viel auf die nächsten Tage an. Wie reagieren Fraktion und Basis nach dem ersten Überraschungsmoment, was bewegt sich im eigentlichen Koalitionsstreit? Der Terminplan ist voll: Zu den sowieso geplanten Krisensitzung der Koalition, der Fraktionen und der Regierungsparteien wegen des Rundfunk-Streits kommen jetzt noch mehr dazu, um die Lage zu sortieren. Am Freitagnachmittag wurde der CDU-Landesvorstand zusammengerufen, für die nächsten Tage wird auch ein Sondertreffen der Fraktion erwartet.
Für Anfang der Woche sind mehrere Koalitionsgespräche angesetzt, am Mittwoch steht die Abstimmung im Medienausschuss zu der Frage an, ob der Landtag dem Staatsvertrag samt Rundfunkbeitrag-Erhöhung um 86 Cent auf 18,36 Euro zustimmt oder ihn ablehnt – oder die für Mitte Dezember geplante Abstimmung im Plenum von der Tagesordnung nimmt.
Letzteres ist der jüngste Vorschlag aus Haseloffs Staatskanzlei. Diese Taktik soll den höheren Rundfunkbeitrag zunächst blockieren, wie es die CDU will, und trotzdem verhindern, dass die CDU ihr Vorhaben gemeinsam mit den Stimmen der AfD durchsetzt, was Haseloff unbedingt vermeiden will. Denn wenn nicht alle Bundesländer bis Jahresende grünes Licht für den neuen Staatsvertrag geben, tritt er nicht in Kraft und muss neu verhandelt werden. Die meisten anderen Bundesländer haben bereits zugestimmt, Sachsen-Anhalt gilt als einziger Wackelkandidat.
Die Situation ist für Haseloff äußert schwierig. Denn seine CDU macht keinen Hehl daraus, dass sie nur mit einer einzigen Verhandlungsoption in die anstehenden Krisenrunden geht: Das Nein zum höheren Rundfunkbeitrag steht. SPD und Grüne geben bisher keinerlei Signale, dass sie sich auf eine der Blockade-Optionen einlassen, um wenn schon nicht den Staatsvertrag, dann doch wenigstens die Koalition bis zur regulären Neuwahl im Juni zu retten.
Das Ende der Kenia-Koalition?
Im Umkehrschluss sagen sie: Stellt die CDU ihr Nein zum Rundfunkbeitrag über die Kompromisssuche in der Koalition und stimmt am Ende gegen die Bündnispartner mit der AfD, dann ist das das Ende von Kenia. Von außerhalb Sachsen-Anhalts bricht ein Stimmen-Stakkato auf Haseloff, seine Regierung und die Parteien ein. Da sind die einen, die mehr Abstand zur AfD anmahnen und die CDU von einer gemeinsamen Abstimmung mit den Rechtspopulisten abbringen wollen. Da sind jene, die zum Kurshalten aufrufen. Und da sind andere, die vor allen Streitfragen Stabilität und eine Rettung der Koalition fordern.
Für Haseloff kommt das alles zur Unzeit: Er hat sich erst vor wenigen Wochen und nach langem Zögern dazu durchgerungen, für eine dritte Amtszeit zu kandidieren. Seit November ist er Bundesratschef und repräsentiert damit die Interessen der Bundesländer, die bis auf sein eigenes den höheren Rundfunkbeitrag mittragen.
Dass ihm jetzt ausgerechnet Stahlknecht noch ein größeres Sorgen-Paket aufdrückt, ist am Ende nicht so überraschend. Beide beäugen sich seit Jahren mit Argwohn und Misstrauen. Das liegt nicht nur daran, dass Stahlknecht seine Ambitionen auf die Haseloff-Nachfolge in der Staatskanzlei jahrelang nur offiziell herunterspielte. Bei früheren brenzligen Situationen waren sie aber auch oft zur Kooperation gezwungen, allen voran beim Versuch, die Vertreter in Fraktion und Partei im Zaum zu halten, die offen eine Kooperation mit der AfD in Erwägung ziehen.
Stahlknechts Rauswurf hätte auch in ein gefährliches Patt führen können: Ministerpräsident gegen Parteichef. Doch der Nicht-mehr-Innenminister räumte am Freitagabend von sich aus das Feld: Am Dienstag werde er als CDU-Chef zurücktreten, kündigte er an. Damit hat er die Überraschung seiner Parteifreunde einmal mehr auf seiner Seite. Der Landesvorstand hatte die Personaldebatte vertagt, um alle Beteiligten durchatmen zu lassen. Kurz nach dem Ende der Telefonkonferenz verschickte Stahlknecht seine persönliche Mitteilung – auch im Abgang im Alleingang.
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