Herr Junker, im März und April breitete sich das Coronavirus in Deutschland rasant aus. Die Bevölkerung war aufgerufen, zuhause zu bleiben. Sie dagegen gingen raus, fotografierten und dokumentierten unter anderem die Arbeit auf Corona-Stationen in Kliniken. So entstand das Projekt „There is glory in prevention“. Wie kam Ihnen die Idee dazu?
Mein erster Impuls war auch: Wir müssen alle zuhause bleiben und das Virus aufhalten. In meiner Wohnung in Stuttgart hatte ich damals viel Zeit, Nachrichten zu lesen. Ständig erreichten mich neue Meldungen – ein erster Infizierter hier, ein erster Todesfall da – doch diese Nachrichten blieben für mich so gesichtslos, ja fast schon nichtssagend. Als ich dann die Ansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Fernsehen sah, wurde mir die historische Dimension dieser Pandemie bewusst. Das war letztlich der Auslöser. Ich studiere Fotojournalismus und dachte mir: Wann, wenn nicht jetzt?
Das Virus war damals noch neu. Über Ansteckungswege gab es kaum gesicherte Erkenntnisse. Wie haben Sie die Kliniken von Ihrer Arbeit überzeugt?
Viele Kliniken haben erstmal gemauert. Verständlich. Immerhin gab es ja auch eine reale Infektionsgefahr. Ich musste viel Zeit in die Recherche und Vorarbeit stecken, um letztlich die nötigen Zugänge zu bekommen. Als es dann so weit war und ich mit der Kamera losziehen konnte, war ich sehr froh. Ich wollte den Menschen zuhören und die Geschichten dieser Pandemie zeigen und erzählen.
Hatten Sie keine Bedenken, sich selbst zu infizieren?
Natürlich hatte ich die. Aber es gab schon bald erste Facebook-Gruppen und Leitfäden für Fotografen. Die Szene ist da recht gut vernetzt. Fabio Bucciarelli war für die „New York Times“ beispielsweise in Bergamo, dem einstigen Corona-Hot-Spot, und hat im Anschluss ausführlich berichtet, wie er vorgegangen ist. Das hat mir Sicherheit gegeben. Mir war es wichtig, da nicht kopflos ranzugehen. Ich habe mich letztlich genauso gut geschützt wie das Krankenhauspersonal und habe bei der Arbeit eine FFP2-Maske getragen. Meine Kamera habe ich in einen Gefrierbeutel gewickelt, damit ich sie nicht jedes Mal neu desinfizieren musste. Beim Verlassen der Patientenzimmer habe ich meine komplette Schutzkleidung bis auf die Maske ausziehen müssen – es sollten ja keine kontaminierten Gegenstände mit nach draußen gelangen. Die Linse der Kamera musste ich dann nur noch mit einem Desinfektionstuch abwischen.
Was haben Sie zu dieser Zeit über das Virus gelernt?
Ich habe die ganze Bandbreite an Krankheitsverläufen, die dieses Virus hervorruft, gesehen. Da war beispielsweise eine 98-jährige Patientin, die ihre Infektion mit nur leichten Beschwerden überstanden hat und obendrein noch Sprüche klopfen konnte. Aber es gab auch tragische Schicksale. Beispielsweise das eines Mannes Mitte 50. Er lag auf der Intensivstation und hatte weit verbreitete Vorerkrankungen: Bluthochdruck, Übergewicht. Letztlich ist er gestorben. Mir ist es wichtig, dass diese Fälle nicht unerzählt bleiben.
Einige Menschen stellen die Existenz des Virus in Frage. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie an Corona-Leugner denken?
Im Internet lässt sich ja heutzutage für fast alles eine Quelle finden, und sei es noch so falsch. Das ist sicher ein Problem. Bestimmte Teile der Gesellschaft bewegen sich dadurch regelrecht in einer anderen Welt. Da helfen nicht einmal mehr Fakten und Argumente. Ich habe mal den Versuch gewagt und habe das Fotoprojekt auf Facebook beworben. Mir wurde dann von einem User Propaganda vorgeworfen. Da fällt mir nichts mehr ein. Es gibt Leute da draußen, die ernsthaft denken, dass die Protagonisten, die ich in dem Projekt vorstelle, Lügner sind? Intensivmediziner, die lügen? Das ist sehr schade. Ich weiß nicht, wie man diese Personen wieder als Teil der Gesellschaft zurückgewinnt.
Welche Rolle geben Sie Ihrer Arbeit in der Pandemie?
Als Fotojournalist möchte ich die Realität so umfassend wie möglich darstellen. Licht und Schatten – ich will beides zeigen. Diese Pandemie hat viele dramatische Seiten: Krankheit, Leiden, überlastetes Personal in den Kliniken. Doch es gibt auch Positives zu berichten. Eine Pflegeleitung hat beispielsweise erzählt, dass der Zusammenhalt im Team durch Corona stärker geworden sei, die Mitarbeiter seien enger zusammengerückt. Auch die Anerkennung der Patienten tue gut.
„There is no glory in prevention“ – Mediziner kennen diesen Spruch nur zu gut. Gemeint ist damit: Wer etwas verhindert, darf dafür keinen Ruhm oder Dank erwarten, weil so nie sichtbar wird, was verhindert wurde. Für Ihr Projekt haben Sie diesen Spruch leicht abgewandelt in „There is glory in prevention“. Warum?
Über den Sommer hatten wir in Deutschland sehr niedrige Infektionszahlen und uns dadurch vielleicht in falscher Sicherheit gewogen. Hätten wir noch stärker auf Kontakte verzichtet oder den Geburtstag wirklich nur im engsten Kreis gefeiert – womöglich hätten wir uns dann den aktuellen Lockdown ersparen können. Was ich sagen will: Es gibt Ruhm, „glory“, auch in der Prävention – im Großen wie im Kleinen. Wir sehen sie nur nicht auf den ersten Blick.
Patrick Junker ist freier Fotojournalist in Stuttgart. Seine Online- und Print-Reportage zum Thema Organspende, die in Zusammenarbeit mit dem stern entstand, wurde unter anderem mit dem Hansel-Mieth-Preis und dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Im Fokus seiner Arbeit stehen sensible Themen, für die er Verständnis wecken will. Seine Arbeit „There is glory in prevention“ wird vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert.