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Gibt es die sogenannte Helikoptererziehung wirklich, ist das ein neues Phänomen und warum bevorzugen Eltern eine Erziehungsform, die zugleich fordernd und bevormundend ist?
Das fragten sich Dr. Matthias Doepke, Professor für Wirtschaftswissenschaften, und Dr. Fabrizio Zilibotti von der Yale University. Anstoß für ihre Forschung war Doepkes Erkenntnis selbst ein Helikopterpapa zu sein. „Meine Eltern erwarteten, dass wir zum Essen auftauchen, zur Schule gehen und vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause sind, aber ansonsten hatten wir viel Freiheit“, sagt Doepke. „Die Realität von heute ist so, dass meine Rolle als Elternteil viel intensiver ist. Ich verbringe viel Zeit mit Erziehung, genau wie die meisten anderen amerikanischen Eltern heute.“
Der Druck auf die Kinder wächst, Eltern versuchen, ihren Nachwuchs bestmöglich auf das Leben vorzubereiten und rauben ihnen Freiraum, der früher selbstverständlich war. Doch geht es um die Zukunftschancen der Kids, dann funktioniert die Helikoptererziehung. Das ist die Kernthese ihres Buches „Love, Money and Parenting: How Economics Explains the Way We Raise Our Kids.“ Schon im Titel wird klar, dass es kein Buch über Wohlfühlpädagogik ist. Denn Geld und Ökonomie stehen zumindest gleichberechtigt neben Liebe.
Es gibt viel Kritik an einem Erziehungsstil, in dem die Eltern das Aufwachsen ihrer Kinder wie eine Managementaufgabe organisieren. Auch offene Ressentiments. Etwa gegen Mütter, die ihre Kinder im Riesen-SUV zur Schule fahren. Diese Kritiker nehmen an, dass die Dominanz der Eltern zu trotzigen und verwöhnten Kindern führen wird, denen es später schwerfällt, sich ohne Eltern eigenständig im Leben zu behaupten.
Geld und Erziehung
Doepke und Zilibotti sind diesen Annahmen nachgegangen und haben das Gegenteil festgestellt. Helikoptererziehung funktioniert. Diese bestimmende und energische Auffassung von Kindheit und Erziehung bringt demnach den Kindern lebenslange Vorteile, vor allem wenn es um Bildungschancen und Beruf geht. Für ihre Untersuchung untersuchten die beiden die Leistungstests von 15-Jährigen auf der ganzen Welt. Dann wurden die Ergebnisse mit Berichten von Eltern und Jugendlichen verglichen, wie sie miteinander umgehen. Eine „intensive“ Erziehung führt auch dann zu besseren Leistungswerten der Kinder, wenn die Eltern der gleichen sozialen Gruppe angehören.
Am effektivsten sind Eltern die „autoritativ“, aber nicht diktatorisch vorgehen. Die Wortschöpfung meint Folgendes: Diese Eltern befehlen nicht, sie überzeugen ihre Kinder davon, die Dinge zu tun, die gut für sie sind. Es sei ein Irrtum, den Helikopter-Stil mit Bevormundung gleichzusetzen, so die Autoren. Allerdings kann es Zwischen energischen und gebildeten Eltern und ihren Kindern wegen der unterschiedlichen Fähigkeiten keine wirklich gleichberechtigte Diskussion geben – davor verschließen die Autoren die Augen. Sie glauben, die Eltern fördern Anpassungsfähigkeit, Problemlösung und Unabhängigkeit – allerdings in einer Atmosphäre, in der Leistung einen hohen Stellenwert hat.
Aus Daten aus den USA gewannen sie weitere Schlüsse: Autoritative Helikoptereltern sind besonders gut darin, dafür zu sorgen, dass ihr Nachwuchs universitäre Abschlüsse erreicht. Das ist der Schlüssel zu einer einträglichen Zukunft. Der dominante, dabei aber argumentative Erziehungsstil scheint die Träume von US-Eltern wahr werden zu lassen. Es ist weniger wahrscheinlich, dass diese Kinder Drogen nehmen, Rauchen oder Alkohol trinken. Obendrein warten sie länger mit dem Sex, und wenn benutzen sie Kondome.
Die sorglosen 70er sind vorbei
Warum überlässt man Kindern nichts mehr sich selbst? Fabrizio Zilibotti sagte zu „The Atlantic“, dass die wirtschaftlichen Bedingungen einen großen Einfluss darauf hätten, wie Eltern ihre Kinder erziehen. In den Vereinigten Staaten sei die Anzahl der Stunden, die Eltern damit verbringen, die Aktivitäten ihrer Kinder zu überwachen, dramatisch gestiegen.
„Dieser Trend ist besonders ausgeprägt in Ländern, in denen die wirtschaftliche Ungleichheit am stärksten zugenommen hat, und im Allgemeinen sehen wir dort mehr von dem, was als Helikoptererziehung bekannt geworden ist.“ Der Grund ist ganz einfach: „Eltern wollen, dass ihre Kinder im Leben gut abschneiden und erfolgreich sind. Und in einer Gesellschaft, die sehr ungleich ist, haben Eltern mehr Angst, dass ihre Kinder nicht zu Leistungsträgern werden.“
Anders sieht es aus in Ländern, in denen es wenig Ungleichheit gibt. Dort brauchen Eltern nicht so besorgt sein, weil die Kinder nicht allzu sehr abstürzen können.“ Den Eltern seien auch andere Dinge wichtig, sagte Zilibotti. Etwa dass ihre Kinder glücklich seien oder dass sie ihre Individualität ausdrücken können. Doch diese Dinge würden geopfert, sobald Gefahr für das Ideal „Leistungsträger“ bestünde.
Fortsetzung des Heiratsverhaltens
Letztlich überrascht die Studie über Helikoptereltern wenig. Ihre Ergebnisse schließen an Untersuchungen über das Heiratsverhalten an. Früher war die Heirat über Schichtengrenzen hinweg der mächtigste Motor des sozialen Aufstiegs. Inzwischen steht dieser Aufzug. Wohlhabende Akademiker heiraten ihresgleichen – damit schotten sich die oberen Schichten massiv nach unten ab. In den USA wie in Deutschland ist der soziale Aufstieg durch das veränderte Heiratsverhalten inzwischen praktisch zum Stillstand gekommen.
In dem Helikopter-Stil haben diese Power-Paare offenbar ihre Form der Erziehung gefunden. Damit dürften sich die Kinder der Habenichts-Eltern weiter abhängen. Doepke und Zilibotti glauben, dass dieser Effekt langfristig die Kluft zwischen Arm und Reich weiter vergrößern wird.
Quellen: PDF Version von „Love, Money, and Parenting. How Economics Explains the Way We Raise Our Kids. Matthias Doepke and Fabrizio Zilibotti“
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