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Vor Tausenden Fans „Das Vaterland ist nicht der Arsch des Präsidenten“: Sänger poltert gegen Putin – und kommt vorerst straflos davon
In Russland werden in diesen Wochen selbst Leute festgenommen, die blanke Papierzettel in der Öffentlichkeit zeigen. Alles, was irgendwie als Kritik an Putin ausgelegt werden kann, wird geahndet. Der Sänger Juri Schewtschuk scheint diesem Schicksal entkommen zu können – vorerst.
Es war ein Aufsehen erregender Auftritt. Am Abend des 18. Mai trat Juri Schewtschuk in der russichen Stadt Ufa vor tausende Fans und erklärte: „Freunde, das Vaterland ist nicht der Arsch des Präsidenten, den man die ganze Zeit umhegen und küssen muss. Das Vaterland – das ist die bettelnde Großmutter am Bahnhof, die Kartoffeln verkauft. Das ist Heimat.“ Tosender Applaus gab ihm recht.
Der Name von Juri Schewtschuk ist in Russland so gut wie jedem ein Begriff. Als Frontmann der Rockband DDT, die in den 1980er-Jahren zu den bekanntesten Bands des sowjetischen Untergrunds gehörte und bis heute sehr populär ist, ist er in der russischen Musik-Szene eine feste Instanz. Der Auftritt in Ufa war nicht die erste Gelegenheit, bei der sich Schewtschuk gegen die Kreml-Politik positionierte. Im April weigerte er sich vor dem Hintergrund eines riesigen Z-Symbols zur Unterstützung der russischen Armee aufzutreten. Daraufhin wurde das Konzert von DDT abgesagt.
Doch nach dem Konzert in Ufa bekam der Sänger Backstage einen Besuch – von der Polizei. Eine Stunde lang hätten die Beamte ihn vernommen, erzählte er später. Doch alles was sie bekommen hätten, sei ein Vortrag über Krieg und Frieden gewesen, witzelte er in einem Interview mit dem israelischen Radiosender „Erstes Radio“.
„In Ufa wurde ich von sechs bis zehn Leuten festgehalten, verhört. Ich habe ihnen einen Vortrag gehalten und eine Frage gestellt: Wenn es eine neue Regierung gibt, wenn es jetzt einen Wechsel geben wird, was machen Sie dann? Das hat ihnen zu denken gegebenen. Nach dem Verhör machten sie Fotos mit mir“, erzählte Schewtschuk und stellte gleichzeitig klar, dass er den Polizisten auch Verständnis entgegenbringt: „Ich gebe niemandem die Schuld, sie haben Hypotheken, Befehle.“
Gericht spielt den Fall zurück an die Polizei
Die Polizei habe den Sänger zunächst festnehmen wollen, doch begnügte sich schließlich damit, ein Protokoll zu erstellen, berichtete sein Produzent. Doch nun lehnte es das zuständige Gericht ab, den Fall zu untersuchen. „Das Protokoll beschreibt nicht den Tathergang, und enthält keinen genauen Hinweis darauf, wie genau in der Öffentlichkeit dazu aufgerufen wurde, den Einsatz der Streitkräfte der Russischen Föderation zu behindern“, heißt es in einer Stellungnahme des Gerichts.
„Nach unserem Verständnis ist die Rückgabe des Falls an die Polizei darauf zurückzuführen, dass das Protokoll die Ordnungswidrigkeit nicht beschreibt“, zitiert die russische Nachrichtenagentur Tass den Anwalt des Musikers. „Das heißt, das Dokument enthält keine Informationen über die konkreten Handlungen oder Äußerungen meines Mandanten, die als öffentliche Handlungen angesehen werden können, die darauf abzielen, den Einsatz der Streitkräfte zu diskreditieren. Werden diese Mängel nicht behoben, wird der Fall eingestellt. Andernfalls wird das Gericht sie erneut prüfen“, erläuterte der Anwalt die Umstände.
In den sozialen Netzwerken spotten nun Kritiker des Kremls, dass das Gericht wohl keine Lust hatte zu beweisen, dass das Vaterland doch der Arsch des Präsidenten ist, den man zu küssen hat.
Nichts Neues in Russland
Schewtschuk selbst war von der ganzen Angelegenheit wenig überrascht. Er kennt ähnliches Vorgehen noch aus den Sowjet-Zeiten. „Der KGB hat mich einst wegen dem Lieb ‚Nicht schießen‘ verhört. Damals habe ich erklärt, dass ich gegen Krieg bin. Jetzt, nach dem Konzert in Ufa, passierte dasselbe. Sie schlossen mich in der Garderobe ein und verhörten mich. In Russland kann man denselben Fluss zwei oder drei Mal betreten“, sagte er dem israelischen Radio.
„Alles wiederholt sich. Es sind dieselben Fragen, dieselben Augen und dieselben Schirmmützen. Nur das Design ist ein anderes, aber unter den Mützen ist alles gleichgeblieben.“
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